Wenn diese 2 starken Emotionen aufeinander treffen
… und plötzlich kehrt Ruhe ein. Stille und Frieden.
Die Tage davor eine Berg- und vor allem Talfahrt der Gefühle.
Und jetzt ein unendliches Gefühl der Dankbarkeit. Im Moment überwiegt die Dankbarkeit gegenüber der Trauer. Durchbricht sie.
Ein geliebter Mensch ist mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen. Für immer.
Kaum zu fassen. Vor 6 Wochen war noch alles in Ordnung. Dann sind wir für drei Wochen auf Urlaub geflogen. Weit weg von hier und allem, was dazu gehört. Der WhatsApp Kontakt zur Familie war aufrecht. Wir genossen den Urlaub, die Sonne, das Meer, das Essen, die Gespräche mit unseren Freund*innen. Einfach alles. Wenn ich nach Hause schrieb, schien alles bestens zu sein. An dieser Stelle ein aufrichtiges Dankeschön, dass unsere Lieben uns im Urlaub von den schlechten Nachrichten verschont haben. So konnten wir die Zeit genießen. Wir hätten es leider sowieso nicht ändern können.
Und dann der Moment, der dein gesamtes Leben auf den Kopf stellt. Nichts ist mehr wie zuvor und es wird auch niemals mehr so werden.
Kurz nach dem Landen des Flugzeugs der beunruhigende Anruf. Papa ist schwer erkrankt. Mir bleibt die Luft weg und die Erholung ist wie weggeblasen. Viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Ich bin zu tiefst erschüttert und unbeschreiblich traurig.
Zu Hause angekommen besuche ich meine Eltern. Mein Vater hat in unseren drei Wochen Urlaub sehr viel an Gewicht und Gesichtsfarbe verloren. Die Hoffnung auf Genesung oder Besserung schwindet.
Nach diversen Untersuchungen ist uns allen bewusst, dass mein Vater nicht mehr lange leben wird. Eine schwere Zeit steht vor allem ihm und uns allen, meiner Mutter im Speziellen, aber auch uns Kindern und Enkelkindern bevor.
In dieser sehr schwierigen Zeit rücken wir stark zusammen. Wir helfen einander. Wir sprechen ehrlich und aufrichtig miteinander. Das Wichtigste in solchen schwierigen Situationen. Alle werden immer auf den aktuellen Stand gebracht. Ich verbringe viel Zeit bei meinen Eltern.
Entscheidungen müssen getroffen werden. Die wichtigste Entscheidung trifft mein Vater. Er möchte nicht ins Spital. Er möchte zu Hause bleiben. Meine Mutter gibt und tut alles, damit der Wunsch meines Vaters in Erfüllung geht.
Und dann passieren Dinge, die einfach unglaublich sind. Meine Freundin ist Ärztin und verweist mich auf ein Palliativ Team des Wiener Hilfswerks. Diese begleiten Menschen bis zu ihrem Lebensende. Schon der Anruf gibt mir eine Art Sicherheit. Ein Antrag muss gestellt werden und bereits am nächsten Tag ruft die Ärztin bei uns an. Sie macht sich ein Bild über die aktuelle Situation und vereinbart einen persönlichen Termin.
Sie kommen zu zweit. Schon bei der Begrüßung empfinden wir Nähe zu diesen beiden eigentlich fremden Personen. Die Ärztin ist klar strukturiert und gibt exakte Anweisungen, bringt alles auf den unabänderlichen Punkt und gleichzeitig versprüht sie so viel Wärme und Liebe, dass es mit Worten nicht zu beschreiben ist.
Sie hat eine Sensibilität und Menschenkenntnis, dass mir nur so das Staunen kommt. Die Pflegerin, die mit ihr gekommen ist, ist ruhig, aufmerksam, genau und sehr hilfsbereit. Ein Dreamteam.
Ich bin meiner Freundin (Ärztin) unendlich dankbar, dass sie uns diesen Tipp gegeben hat. Denn, auch, wenn die Situation so bleibt, wie sie ist, bekommt sie mit einem Mal ein ganz anderes Gesicht. Wir haben jemanden gefunden, die uns zur Seite stehen. Die klar im Denken, in den Anweisungen und Handlungen sind und die gleichzeitige Wärme, Geborgenheit, Halt und Unterstützung sind.
Das Konzept des Hilfswerks ist wahnsinnig gut durchdacht. Für die Zeit der Pflege steht ein „eingeschweißtes“ Team aus zwei sehr erfahrenen Personen – Ärzt*in und einer Pfleger*in – zur Verfügung. Die Patient*innen und deren Angehörige haben somit nur zwei fixe Ansprechpartner*innen. Was unter solchen Umständen ein echter Segen ist. Außerdem sind sie 7 Tage die Woche, 24 Stunden am Tag erreichbar. Und sie kommen rasch, wenn es notwendig ist. Tag und Nacht. Obendrein ist die Betreuung kostenlos. Der Verein wird von Spendengeldern unterstützt.
https://www.hilfswerk.at/wien/pflege/pflege-und-betreuung-zuhause/mobiles-palliativ-team/
In dieser so schwierigen Zeit passieren aber noch ganz andere Dinge, für die ich einfach unendlich dankbar bin. Viele Menschen melden sich und bieten Unterstützung an. Freund*innen hören zu und nehmen uns in ihre Arme. Völlig fremde Menschen zeigen Mitgefühl und tun alles Erdenkliche um uns zu helfen. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Mitarbeiter*innen der Firma „Bständig“.
An einem Freitag in der Früh erreicht mich der sehr besorgte Anruf meiner Mutter. Sie musste die Ärztin kommen lassen, dem Papa geht es sehr schlecht. Bis jetzt hat er mit unbeschreiblichem Willen noch kein Krankenbett gebraucht. Aber jetzt braucht er eines und zwar so rasch als möglich. Mir schießt gleich der Gedanke durch den Kopf: ein Freitag! Viele Betriebe arbeiten nur bis zu Mittag. Wie soll das gehen? Die Ärztin gibt klar zu verstehen, dass wir nicht auf Montag warten können.
Also rufe ich in der Zentrale von „Bständig“ an und erkläre die ernste Situation. Ich vermittle die Dringlichkeit. Es muss heute sein. Die Dame am anderen Ende der Leitung verspricht, mich zurückzurufen. Es wird ein bisschen dauern. Sie muss erst einen Fahrer finden, der sich bereit erklärt, diese Fahrt zu uns einzuschieben.
In der Zwischenzeit muss ich ein paar Dinge für die Pflege besorgen. Auch hier verhalten sich die Angestellten derselben Firma einfühlsam und tun alles, damit wir alles Notwendige bekommen. Auch als es Probleme mit der Verordnung gibt und die Krankenkassa Mätzchen macht, finden sich Lösungen. Wo ein Wille da ein Weg. Und alle wollen. Denn alle können nachvollziehen, wie es einem – nämlich mir bzw. uns – geht. Egal wohin ich gehe, treffe ich auf Menschlichkeit. Sie ist nicht verloren gegangen, sondern allgegenwärtig.
In der Zwischenzeit hat mich die Dame wegen des Krankenbetts zurückgerufen. Das Bett wird heute zu Mittag geliefert und aufgestellt. Allerdings sei da keine Matratze dabei. Ich bin etwas verwirrt und ratlos. Aber die Pflegerin weiß einen Ausweg. Eine Angehörige von einem Patienten hat so eine Matratze (neu) und verschenkt sie. Auch hier haben wir Glück: Ausnahmsweise wohnt diese Frau nur 10 Minuten von uns entfernt. Mein Mann erledigt die Abholung und gemeinsam schaffen wir es, dass Papa im Bett liegt. Es war ein Wahnsinns-Kraftakt – für uns alle. Und endlich kommt er zur Ruhe. Er fängt an, tief und fest zu atmen und zu schlafen. Endlich.
Ich muss noch schnell in die Apotheke und wichtige Medikamente holen. Also hüpfe ich schnell hinunter. Ein Medikament muss bestellt werden, kann aber noch kurz vor 18 Uhr abgeholt werden. Ich bin kaum in der Apotheke, als der Anruf meiner Mama kommt. Papa ist eingeschlafen. Einfach so. Ich laufe zurück. Rufe gleichzeitig die Ärztin an und sie ist eine halbe Stunde später bei uns. Sie nimmt uns in den Arm. Sie schaut meinen Papa an und erst jetzt sehen wir, dass er ein Lächeln auf den Lippen hat.
Und da ist es, dieses unendliche Gefühl der tief empfundenen Dankbarkeit. Dankbar, dass Papa so ruhig eingeschlafen ist. Dankbar, dass meine Mutter ihm seinen Wunsch, zu Hause bleiben zu können, ermöglicht hat. Dankbar, dass wir ihm noch gesagt haben, wie sehr wir ihn lieben. Dankbar, für alle Menschen, die uns ihr Mitgefühl gezeigt haben. Dankbar, dass ich dieses Gefühl wahrnehme und es diese Geschehnisse, die uns alle einmal bevorstehen, in ein positives Licht rücken, bei all der Traurigkeit die unabänderlich ist.
Eines möchte ich hier noch erwähnen: kurz vor 18 Uhr ruft die Apothekerin bei uns an. Das Medikament sei da und noch nicht abgeholt worden. Sie wohnt in der Nähe und bringt es uns vorbei. Ich erkläre ihr gar nicht, dass es nicht mehr benötigt wird, denn das stimmt so nicht. Mein Papa braucht es nicht mehr, aber andere Patient*innen. Ich erfahre, dass es auch bei uns Menschen gibt, die nicht krankenversichert sind. Das Rote Kreuz sammelt für diese Menschen Medikamente. Also bringe ich diese ein paar Tage später dort hin.
Es war ein unvergesslicher Freitag. An dem zwei starke Gefühle aufeinander getroffen sind:
Traurigkeit und Dankbarkeit.
Jetzt – zu Allerseelen – gedenken wir unserer Verstorbenen und ich denke auch an die vielen Helferchen und wünsche ihnen, dass sie gesund und munter sind.
Einen ganz besonderen Gruß und unendlichen Dank schicke ich an dieser Stelle an die Ärztin und Pflegerin, die uns betreut und begleitet haben. Sie wollen hier nicht namentlich genannt werden. Ich kann nur eines sagen: sie sind ein Geschenk für die Welt und für alle, die sie begleiten.
Ich habe die Ärztin gefragt, wie sie diesen Beruf aushalten kann. Sie weiß ja schon beim ersten Treffen, dass sie diese Patient*innen bis zu ihrem Lebensende begleiten wird. Manche länger und manche, so wie meinen Papa, kurz. Und sie hat geantwortet, dass sie Brückenbauerin ist. Sie baut eine Brücke vom hier zum dort. Und das tut sie. Eine wunderbare, stabile Brücke. Hoffentlich baut sie diese noch sehr lange.